Vorwort: die Gefahr von Prognosen
Prognosen sind nicht ungefährlich und dürfen nicht vorbehaltlos übernommen werden. Sie bauen auf allen Indikatoren auf, die zum Zeitpunkt ihrer Erstellung zur Verfügung stehen. Diese „Anzeichen“ können aber bereits kurze Zeit später durch die Wirklichkeit überholt sein.
Das Jahr 2019 ist hierfür ein gutes Beispiel: Fast alle Prognosen sagten für Europa steigende Leitzinsen voraus. Sie alle lagen falsch. Die Annahmen basierten wesentlich darauf, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ein höchst umstrittenes Programm zum Ankauf von Staatsanleihen gestoppt hatte. Dann allerdings sorgte die wirtschaftliche Abkühlung dafür, dass der nächste Schritt (Leitzinserhöhung) ausblieb. Für 2020 sollen deshalb erst einige bekannte Unsicherheiten benannt werden, durch die sich die Lage verändern könnte.
Europa: Brexit, neue EZB-Führung und wirtschaftliche Probleme
Seit Herbst 2019 hat die EZB eine neue Führung. Präsidentin ist jetzt die Französin Christine Lagarde, die den Italiener Mario Draghi ersetzt. Dieser Unterschied war sofort zu merken: Lagarde nahm das von Draghi gestoppte Anleihen-Kaufprogramm wieder auf. Sie bringt zudem neue Ideen in die Bank ein und möchte z.B. die Bekämpfung des Klimawandels unterstützen. Noch ist komplett klar, welche weiteren Pläne sie hat.
Zudem wird 2020 wohl tatsächlich der Brexit erfolgen. Dies dürfte starke Rückwirkungen auf die Wirtschaft haben. Es folgen zudem Verhandlungen zwischen dem Vereinten Königreich und der EU über die künftigen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Je nach Verlauf könnten neue Unsicherheiten entstehen, die Folgewirkungen haben.
USA: Präsidentschaftswahlen stehen im November an
In den USA stellt sich Präsident Donald Trump der Wiederwahl. Es ist kein Geheimnis, dass er dafür plädiert, dass die amerikanische Zentralbank (FED) den Leitzins senkt, um die Wirtschaft mit günstigem Geld zu fluten und so Arbeitsplätze zu schaffen. Anders als in Europa die EZB ist die FED nicht nur der Geldwertstabilität verpflichtet, sondern auch dem Ziel der Vollbeschäftigung. Der Wahlkampf dürfte intensiv werden, wodurch der politische Druck auf die FED vermutlich stark ansteigt.
Leitzinsprognose 2020 für Europa
Derzeit steht der Leitzins bei 0%. Banken, die ihr Geld bei der EZB parken, zahlen Strafzinsen von 0,5%. Noch das alte Präsidium hatte im Juni 2019 beschlossen, dass sich mindestens bis Juni 2020 daran nichts ändern solle. Das neue Präsidium hat diesen Entschluss im November bekräftigt. Tatsächlich ist aber damit zu rechnen, dass auch danach keine Anhebung der Zinsen eintritt.
Experten des Vermögensverwalters DWS gehen davon aus, dass erst nach 2021 zu einer Anhebung kommen wird. Bei Union Investment zweifelt man inzwischen grundsätzlich daran, ob dies überhaupt noch passieren wird. Derzeit gilt: Wenn es eine Änderung im Sommer 2020 geben sollte, dann wird die EZB vermutlich eher den Leitzins in den Negativbereich senken.
Leitzinsprognose 2020 für die USA
Der US-Leitzins liegt in einem Korridor von 1,5% bis zu 1,75%. Die Währungshüter der FED hatten ihn in der zweiten Jahreshälfte 2019 drei Mal um je 0,25% gesenkt. Dies soll sich 2020 aber nicht wiederholen: Notenbankchef Jerome Powell erklärte, dass man wirtschaftlich wieder so stabil sei, dass der Leitzins nicht mehr verändert werden müsse.
In einem gemeinsamen Gutachten rechnen 13 der 17 Präsidiumsmitglieder zudem damit, dass der Leitzins bis mindestens 2021 unverändert bleibe. Man müsse noch einen Puffer nach unten behalten, falls der Handelskrieg mit China wieder an Fahrt aufnehme, heißt es hierzu im entsprechenden Dokument. Es ist also davon auszugehen, dass sich auch in den USA nichts ändern wird.
Gibt es entgegenlaufende Anzeichen?
Indikatoren, die auf steigende Leitzinsen deuten, existieren kaum. Einzig Schweden hat unlängst einen entsprechenden Schritt unternommen. Die Währungshüter haben hier aber nur mit der EU gleichgezogen. Vier Jahre lag der Leitzins im Negativbereich (zuletzt 0,25%), wurde aber jetzt auf 0% gesetzt. Bis Ende 2022 könnte er auf 0,13% steigen, heißt es aus dem skandinavischen Raum. Dies deckt sich mit den Annahmen für die EU.
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